Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Als Schule nehmen wir jedes Jahr Anteil an dem Gedenken. Wir wollen damit ein wichtiges Zeichen gegen das Vergessen setzen! 79 Jahre ist die Befreiung nun her. Aus diesem Anlass versammelten sich mehr als 100 Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Vertreter der Schulleitung am Mahnmal in Mühlenbeck. Der Einladung folgten auch wieder die Bürgermeister Filippo Smaldino (Mühlenbecker Land) und Dr. Hans-Günther Oberlack (Glienicke/Nordbahn). Die Gedenkrede mit Kranzniederlegung hielten Moritz Wittig und Lazar Pavlov (Tutorium 13.1).
Gedenkrede
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Bürgermeister unserer Gemeinde Mühlenbecker Land, sehr geehrter Bürgermeister der Gemeinde Glienicke,
vor 79 Jahren, am 27. Januar 1945, befreiten Soldaten der Roten Armee den Lagerkomplex Auschwitz. Die den Lagerkomplex befreienden russischen Soldaten setzten somit der grauenhaften und widerwärtigen Tötungsmaschinerie, welche westlich der Stadt Krakau, alleinig aus dem Zweck der unmenschlichen, mörderischen und sadistischen Ideologie des Regimes der Nationalsozialisten errichtet wurde, ein Ende. Genau diesen Soldaten bat sich ein Anblick schier endloser Grausamkeit, ein Anblick der Resultate einer menschenverachtenden, totalitären und erbarmungslosen Ideologie. Ein Anblick, welcher der Verkörperung der Hölle auf Erden gleicht, sich abwendend von verinnerlichten christlichen Werten. Um den russischen Kameramann Alexander Woronzow zu zitieren, welcher bei der Befreiung von Ausschwitz anwesend war: „Unseren Augen bot sich ein schreckliches Bild, eine riesige Anzahl von Baracken, viele ohne Dächer, auf Pritschen lagen Menschen, mit Haut überzogen, Skelete schon, mit abwesendem Blick.“ Diese Worte dienen uns als Zeugnis der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche sich im Namen der pseudowissenschaftlichen Grundlagen des Nationalsozialismus in Europa ereigneten. Als Zeugnis und als geistiges Mahnmal, die schrecklichen Taten und Verbrechen, welche sich vor nicht einmal hundert Jahren ereigneten, trotz unmessbarer Reumütigkeit und den Schmerz an die Erinnerung, nicht aus unserem Gedächtnis zu verdrängen, sondern diese lebendig zu halten. Allein in Auschwitz, fielen über 1,1 Millionen Menschen der erbarmungslosen „Selektion“ und darauffolgenden Tötung im Vernichtungslager zum Opfer, eine Zahl welche, für sich unvorstellbar ist. Die Volksgruppen der Sinti und Roma, Menschen mit Beeinträchtigungen und die mutigen politischen Oppositionellen der KPD und SPD, welche der Herrschaft der Nationalsozialisten trotzen, sie alle vielen der erbarmungslosen Ideologie des Nationalsozialistischen Regimes zum Opfer. Und die Schandtaten dieses Regimes sollten noch Millionen weitere Opfer fordern. Lasst uns in unserem Gedenken nicht vergessen, dass diese schrecklichen Taten möglich waren. Lasst uns nicht die Gegebenheiten vergessen, welche diese Taten möglich machten und lasst uns nicht das Schweigen der vielen vergessen, welches den Taten folgte.
Trotz alledem, seit nun mehr fast 74 Jahren, besitzen wir als Bürger innerhalb der Bundesrepublik Deutschland die Privilegien und Vorzüge des Grundgesetzes, unserer Bundesrepublik. Wir besitzen als Gesellschaft ein unmessbares und kaum in Worte zufassendes Privileg, in einem demokratischen, von Freiheit erfülltem und im Sinne der Menschlichkeit handelndem Rechtsstaat aufzuwachsen. Ein Staat, welcher die Auslebung der persönlichen Freiheit und Individualität, welcher die Vielfalt in unserer Gesellschaft ermöglicht, in die Hände seiner Bürger übergibt. Ein Staat der die Sicherheit und das Wohlergehen seiner Bürger als oberste Priorität empfindet, ohne Ausgrenzung von Minderheiten, ohne Gewalt, ohne Strukturen des Unrechtes, welche die staatlichen Gewaltstrukturen des Regimes der Nationalsozialisten bedingten. Diese demokratischen und freiheitlichen Umstände, darunter Gewaltfreiheit und Rechtssicherheit sind staatlich geschützte Prinzipien. Willkür wird ein Riegel vorgeschoben. Diese Prinzipien bieten die ideale Grundlage für eine inklusive und durch Toleranz geprägte Gesellschaft, weit entfernt von der schrecklichen Dimension der nationalsozialistischen Vergangenheit.
Jedoch gefährden bestimmte internationale und politische Ereignisse stetig die Toleranz, Offenheit und Freiheit, welche wir für so selbstverständliche halten. Der Krieg im Nahen Osten sorgt für Auswirkungen in der gesamten Welt. Ein steigender Antisemitismus ziert das Antlitz unseres sozialen Zusammenseins, eine entmenschlichende und gefährliche Entwicklung. Eine Gefahr, welche wir solange für bereits überwunden hielten. Vandalismus, Boykotte und antijüdische Parolen bis hin zu Gewalttaten, Geschehnisse, welche an Zustände längst vergangener Zeiten erinnern. Jüdische Bürger, welche sich aus Angst vor Übergriffen ihrer religiösen und kulturellen Merkmale entledigen. Jüdische Bürger, welche sich in ihre Privaträume zurückziehen, um Vorfällen zu entgehen. Stolpersteine, Mahnmale und Erinnerungsstücke der grausamen Vergangenheit, werden beschmutzt oder beschädigt. Gewalt, Hass und Intoleranz sind es, die sich in unserer Gesellschaft ausbreiten. Religion sollte ein Symbol des Zusammenschlusses und des friedlichen Miteinanders sein, keine Rechtfertigung für Hass und Gewalt, keine Rechtfertigung für Vorurteile und Feindschaft. Die Verbrechen des 20. Jahrhunderts, die Verbrechen der Nationalsozialisten, haben tiefe Narben in unserer deutschen Gesellschaft hinterlassen, weitreichende Narben in unserer kulturellen Identität. Aufgrund dieser kulturellen Identität, welche wir tragen sowie der besonderen Geschichte, welche uns auferlegt wurde, tragen wir zwar keine Schuld für die Schandtaten, sind aber dazu verpflichtet, nicht tatenlos wegzusehen, nicht auf die Taten vieler oder weniger Schweigen folgen zu lassen. Wir sind dazu verpflichtet, nicht zu vergessen, die Verbrechen nicht zu vergessen, die Teilnahme der deutschen Bevölkerung nicht zu vergessen und die Tatsache der Möglichkeit dieses Verbrechens nicht zu vergessen. Nicht nur unsere Kultur und Geschichte verpflichtet uns zu Taten und zum Brechen unseres Schweigens.
„Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ dieser Leitspruch ist ausschlaggebend für unsere Schule, es ist eine stolze Verkündung und mit Stolz vertreten wir dieses Motto, welches im Eingangsbereich unserer Schule hängt. Die Bezeichnung „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ ist keine Auszeichnung, es ist kein Preis, keine Belohnung, kein Garantieschein. Es ist eine Verpflichtung sämtlicher Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte, den Grundsatz, welchen wir so stolz vertreten, umzusetzen und zu verteidigen. Es ist eine Selbstverpflichtung jedes Einzelnen, den Grundsatz dieses Leitspruches zu vertreten. Aufgrund dieser Werte, welche wir täglich vertreten, stehen wir heute hier zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Die grausamen Verbrechen dieser vergangenen Zeit, lehren uns, dass wir schon dem kleinsten Auftreten von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entgegentreten müssen. Wir sind hier, um zu gedenken und um ein klares Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen, welche unsere Demokratie und unser gesellschaftliches Zusammenleben bedrohen. Um es mit den Worten vom Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir zu sagen: „Kein Kind, egal welcher Herkunft, wird als Antisemit geboren, wir die Gesellschaft machen es dazu […]. Wenn jüdische Kinder aus Angst nicht zur Schule gingen, dann sei das nicht einfach nur die Angelegenheit ihrer Eltern. Dann ist das unsere Angelegenheit.“ Die Demokratie ist unser Schutz, machen wir uns dafür stark, sorgen wir gemeinsam dafür, dass niemand Opfer von Intoleranz und Gewalt wird.
Moritz Wittig und Lazar Pavlov (13.1)
Gedicht zum Gedenken
Das Gedicht „Poem“ (Ich möchte leben) stammt von Selma Meerbaum-Eisinger. Sie führte eigentlich ein ganz normales Leben, doch eine Sache wurde ihr zum Verhängnis. Selma war Jüdin. Geboren wurde sie im Jahr 1924 in Czernowitz, Rumänien. Sie und ihre Angehörigen blieben einige Jahre später von den laufenden Deportationen nicht verschont. Und so trieb man sie im Juni 1942 in das Lager „Steinbruch am Bug“. 2 Monate später landete sie, zusammen mit ihrer Mutter, im Zwangsarbeitslager Michailowka. Selma verstarb am 16. Dezember 1942 entkräftet vom Fleckfieber. Sie wurde nur 18 Jahre alt. Es folgt ein Auszug, den Kiara Jäcksch vorgetragen hat.
„Poem“ (Ich möchte leben)
Die Bäume sind von weichem Lichte übergossen,
im Winde zitternd glitzert jedes Blatt.
Der Himmel, seidig-blau und glatt,
ist wie ein Tropfen Tau vom Morgenwind vergossen.
Die Tannen sind in sanfte Röte eingeschlossen
und beugen sich vor seiner Majestät, dem Wind.
Hinter den Pappeln blickt der Mond aufs Kind,
das ihm den Gruß schon zugelächelt hat.
Im Winde sind die Büsche wunderbar:
bald sind sie Silber und bald leuchtend grün
und bald wie Mondschein auf lichtblondem Haar
und dann, als würden sie aufs neue blühn.
Ich möchte leben.
Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glühn
und tuen ihre Freude kund.
Sieh nur die Straße, wie sie steigt:
so breit und hell, als warte sie auf mich.
Und ferne, irgendwo, da schluchzt und geigt
die Sehnsucht, die sich zieht durch mich und dich.
Der Wind rauscht rufend durch den Wald,
er sagt mir, dass das Leben singt.
Die Luft ist leise, zart und kalt,
die ferne Pappel winkt und winkt.
Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und hassen
und möchte den Himmel mit Händen fassen
und möchte frei sein und atmen und schrein.
Ich will nicht sterben. Nein!
Nein.